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Leitfaden für die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften

Veröffentlichungsdatum:20.07.2017 Inkrafttreten21.07.2017
Fundstelle Brem.ABl. 2017, S. 578
Bezug (Rechtsnorm)BGB § 26, GG Art 1, GG Art 4, GG Art 6, GG Art 7, GG Art 19, GG Art 20, GG Art 79, GG Art 140, KiStG § 2a, WRV Art 137, WRV Art 138
Zitiervorschlag: "Leitfaden für die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (Brem.ABl. 2017, S. 578)"

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juris-Abkürzung:
Dokumenttyp: Bekanntmachungen, Verwaltungsvorschriften, Dienstanweisungen, Dienstvereinbarungen, Richtlinien und Rundschreiben
Dokumenttyp: Wappen Bremen
Gliederungs-Nr::
Normgeber:Der Senator für Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften
Erlassdatum:18.07.2017
Fassung vom:18.07.2017
Gültig ab:21.07.2017
Quelle:Wappen Bremen
Gliederungs-Nr:keine Angaben verfügbar
Normen:§ 26 BGB, Art 1 GG, Art 4 GG, Art 6 GG, Art 7 GG, Art 19 GG, Art 20 GG, Art 79 GG, Art 140 GG, § 2a KiStG, Art 137 WRV, Art 138 WRV
Fundstelle:Brem.ABl. 2017, 578
Leitfaden für die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften

Leitfaden für die Verleihung der Körperschaftsrechte an Religions- und
Weltanschauungsgemeinschaften

Die „Empfehlungen der Kultusministerkonferenz über die Verleihung der öffentlichen Körperschaftsrechte an Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen“ vom 12. März 1954 unter Einbeziehung der Erläuterungen der für kirchliche Angelegenheiten zuständigen Länderressorts vom 12. Oktober 1962, die seither fachlich mehrfach überarbeitet wurden, sind angesichts der Entwicklungen in Rechtsprechung und Praxis teilweise überholt. Daher haben sich die für Angelegenheiten der Kirchen, Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften zuständigen Referentinnen und Referenten der Länder der Bundesrepublik Deutschland auf diesen Leitfaden verständigt, der den gegenwärtigen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung wiedergibt. Die Konferenz der Chefin und Chefs der Staats- und Senatskanzleien hat den Leitfaden am 16. Februar 2017 als rechtliche Grundlage künftiger Anerkennungsverfahren durch die Länder zur Kenntnis genommen.

A.
1.
Rechtsgrundlagen für die Verleihung der Körperschaftsrechte sind die einschlägigen Bestimmungen des Landesrechts, soweit sie bestehen, sowie im Übrigen Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Absatz 5 WRV. Diese Bestimmung lautet: „Die Religionsgesellschaften bleiben Körperschaften des öffentlichen Rechts, soweit sie solche bisher waren. Anderen Religionsgesellschaften sind auf ihren Antrag gleiche Rechte zu gewähren, wenn sie durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.“
2.
Die folgenden Ausführungen gelten gemäß Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Absatz 7 WRV entsprechend für Weltanschauungsgemeinschaften.
3.
Die Begriffe „Religionsgesellschaft“ (Artikel 137 Absatz 5 WRV) und „Religionsgemeinschaft“ (Artikel 7 Absatz 3 GG) werden in Übereinstimmung mit der ganz herrschenden Meinung in der Literatur inhaltsgleich verstanden. Im Folgenden wird der Begriff Religionsgemeinschaft verwendet.
4.
Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV bietet keine Grundlage für Ermessen; vielmehr ist über einen Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte eine gebundene Entscheidung zu treffen. Auf die Verleihung besteht ein Rechtsanspruch, wenn die Verleihungsvoraussetzungen erfüllt sind. Soweit landesrechtliche Normen bestehen, sind diese zu berücksichtigen.
B.
1.
Geschriebene Voraussetzungen:
-
Antrag,
-
Religionsgemeinschaft,
-
Gewähr der Dauer
-
durch ihre Verfassung und
-
die Zahl ihrer Mitglieder.
Ungeschriebene Voraussetzung: Rechtstreue der Religionsgemeinschaft.
Hinweis: Bisweilen nehmen religiöse Organisationen, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts (K.d.ö.R.) anstreben, an, nur als K.d.ö.R. seien sie eine „anerkannte Religionsgemeinschaft“. Das trifft indes nicht zu. Die tragenden Fundamente des Staatskirchenrechts (Glaubens-, Bekenntnis-, Kultus- und Vereinigungsfreiheit, Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften, Erteilung von Religionsunterricht im Sinne von Artikel 7 Absatz 3 GG) setzen den Körperschaftsstatus nicht voraus, teilweise aber die rechtliche Eigenschaft einer Religionsgemeinschaft. Die isolierte, konstitutive Feststellung dieser Eigenschaft kennt das deutsche Recht nicht.
2.
a)
Die Verleihung der Körperschaftsrechte ist von einem Antrag abhängig. Im Antrag müssen die Antragsvoraussetzungen im Einzelnen nachvollziehbar dargelegt werden. Von daher wird es faktisch unumgänglich sein, den Antrag schriftlich einzureichen.
Antragsberechtigt ist nicht das einzelne Mitglied einer Religionsgemeinschaft, sondern nur die Religionsgemeinschaft als Personenmehrheit.
Für die Vertretungsbefugnis ist im konkreten Fall der Nachweis erforderlich, wer für die Religionsgemeinschaft zu sprechen berechtigt ist. Unproblematisch dürfte das sein, wenn die Religionsgemeinschaft bereits in der Rechtsform des eingetragenen Vereins („e.V.“) organisiert ist (vgl. § 26 BGB), ansonsten ist der Nachweis der Vertretungsberechtigung im Einzelfall zu verlangen und genau zu prüfen.
b)
Der Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte muss von einer Religionsgemeinschaft gestellt sein. Der Begriff der Religionsgemeinschaft wird meist wie folgt definiert: „Unter Religionsgemeinschaft ist ein Verband zu verstehen, der die Angehörigen ein und desselben Glaubensbekenntnisses oder mehrerer verwandter Glaubensbekenntnisse zur allseitigen Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben zusammenfasst.“ (BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2005 – 6 C 2.04, BVerwGE 123, 49, 54 – in Anlehnung an die ganz herrschende Lehre, die auf Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reiches vom 11. August 1919, 14. Auflage 1933, Artikel 137 Anmerkung 2, zurückgeht)
„Mit dem Erfordernis der allseitigen Aufgabenerfüllung werden die Religionsgemeinschaften von den religiösen Vereinen abgegrenzt, die sich nur die partielle Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben.“ (BVerwG, a.a.O., 56)
Religionsgemeinschaft ist demgemäß ein Personenzusammenschluss, der die allseitige Pflege einer Religion zu seinem zentralen Gegenstand hat (1) und eine spezifische gemeinschaftliche Struktur aufweist (2) und dabei ggf. besonderen Anforderungen an Dachverbände genügt (3).
(1)
„Religion“ und „Weltanschauung“ als Begriffe des staatlichen Rechts: Ausgangspunkt der näheren Prüfung muss dabei die Frage sein, ob die antragstellende Gemeinschaft eine Religion bzw. Weltanschauung pflegt. In der Rechtsprechung wird Religion bzw. Weltanschauung umschrieben als eine mit der Person des Menschen verbundene Gewissheit über bestimmte Aussagen zum Weltganzen sowie zur Herkunft und zum Ziel des menschlichen Lebens. Danach legt die Religion eine den Menschen überschreitende und umgreifende („transzendente“) Wirklichkeit zugrunde, während sich die Weltanschauung auf innerweltliche („immanente“) Bezüge beschränkt (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1992 – 7 C 21.90, BVerwGE 90, 112, 115; BAG, Beschluss vom 22. März 1995 – 5 AZB 21/94, NJW 1996, 143, 146, jeweils mit weiteren Nachweisen).
„Religion“ und „Weltanschauung“ sind Begriffe des staatlichen Rechts, die der staatliche Rechtsanwender im Einzelfall verbindlich auszulegen hat. Bei der näheren Ausformung der Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ verbleiben aber Spielräume für das religiöse Selbstverständnis der betreffenden Gemeinschaft und der Gläubigen. Eine abschließende Definition der Begriffe „Religion“ und „Weltanschauung“ mit Hilfe objektiver Kriterien, d.h. unabhängig vom Selbstverständnis des Rechtsträgers, ist aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht möglich. Gleichwohl haben die für die Entscheidung im Einzelfall zuständigen staatlichen Stellen – Verwaltungsbehörden bzw. Gerichte – die Befugnis zur letztverbindlichen Interpretation:
„Zwar können nicht allein die Behauptung und das Selbstverständnis, eine Gemeinschaft bekenne sich zu einer Religion und sei eine Religionsgemeinschaft, für diese und ihre Mitglieder die Berufung auf die Freiheitsgewährleistung des Artikel 4 Absatz 1 und 2 GG rechtfertigen; vielmehr muss es sich auch tatsächlich, nach geistigem Gehalt und äußerem Erscheinungsbild, um eine Religion und Religionsgemeinschaft handeln. Dies im Streitfall zu prüfen und zu entscheiden, obliegt – als Anwendung einer Regelung der staatlichen Rechtsordnung – den staatlichen Organen, letztlich den Gerichten, die dabei freilich keine freie Bestimmungsmacht ausüben, sondern den von der Verfassung gemeinten oder vorausgesetzten, dem Sinn und Zweck der grundrechtlichen Verbürgung entsprechenden Begriff der Religion zugrunde zu legen haben.“ (BVerfG, Beschluss vom 5. Februar 1991 – 2 BvR 263/86, BVerfGE 83, 341, 353 – „Bahá’í“)
In Zweifelsfällen kann danach von der Gemeinschaft eine Darstellung der religiösen Glaubenssätze verlangt werden. Staatliche Stellen sind befugt und verpflichtet, das Selbstverständnis der antragstellenden Gemeinschaft einer Plausibilitätsprüfung zu unterziehen (vgl. BVerfG, Urteil vom 24. September 2003 – 2 BvR 1436/02, BVerfGE 108, 282, 299 unter Verweis auf die zitierte Entscheidung BVerfGE 83, 341). Diese Prüfung dient auch dazu, ggf. zu klären, ob die Lehre der antragstellenden Gemeinschaft nur als Vorwand für andere Ziele dient, z.B. wirtschaftlicher Art (vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 1992 – 7 C 21.90, BVerwGE 90, 112, 118; BAG, Beschluss vom 22. März 1995 – 5 AZB 21/94, NJW 1996, 143, 146 f.).
Religiöser Konsens: Das gemeinsame Bekenntnis einer Religionsgemeinschaft setzt einen religiösen Konsens voraus. Er erfordert, dass die Mitglieder sich zwar nicht in allen Glaubensfragen, aber in religiösen Überzeugungen, auf die die Gemeinschaft sich gründet, einig sein müssen (siehe Anmerkung 1 – im Anhang).
Umfassende Pflege der Religion: Eine Religionsgemeinschaft pflegt die Religion allseitig, d.h. nicht nur – wie ein sogenannter religiöser Verein – in einzelnen Aspekten (z.B. Mission, Caritas, Jugendarbeit), sondern sie nimmt die religiös motivierten Aufgaben in ihrer Gesamtheit umfassend wahr.
Religion als zentraler Gegenstand: Religionsgemeinschaften können zwar neben religiösen auch wirtschaftliche, politische oder kulturelle Aktivitäten entfalten. Doch muss das Religiöse im Zentrum ihres Wirkens stehen. Es darf nicht nur begleitende Funktion für ggf. wirtschaftliche, politische, nationale Interessen u. ä. haben.
(2)
Eine Religionsgemeinschaft hat zudem eine besondere gemeinschaftliche Organisationsstruktur, die gekennzeichnet ist durch ein verfassungsrechtlich bedingtes Spannungsverhältnis: einerseits durch weitreichende Gestaltungsspielräume, andererseits durch Mindestanforderungen an die Organisation der Gemeinschaft.
Die Gestaltungsspielräume zur näheren Organisation der Gemeinschaft ergeben sich aus den freiheitlichen Vorgaben des Religionsverfassungsrechts, insbesondere der religiösen Vereinigungsfreiheit aus Artikel 4 Absatz 1 und 2 GG, Artikel 140 GG i.V.m. Artikel 137 Absatz 2 WRV. Danach genießt die Freiheit der Vereinigung zu Religionsgemeinschaften den ausdrücklichen Schutz des Grundgesetzes. „Die grundrechtlich garantierte Möglichkeit der Bildung einer Religionsgemeinschaft soll den Weg eröffnen, sich als Vereinigung von Menschen zur Verwirklichung des gemeinsamen religiösen Zwecks zu organisieren, eine rechtliche Gestalt zu geben und am allgemeinen Rechtsverkehr teilzunehmen.“ (BVerwGE 123, 49, 55) Daraus folgt, dass die Gemeinschaft keine bestimmte Rechtsform, etwa die des rechtsfähigen Vereins, haben muss. „Es genügt jedes Minimum an Organisation, welches immer entsteht, wenn sich Menschen auf der Grundlage eines gemeinsamen Glaubens zur Erfüllung sich daraus ergebender Aufgaben vereinigen.“ (BVerwGE 123, 49, 55) Unschädlich ist dabei, wenn eine andere Gemeinschaft Angehörige desselben Bekenntnisses vereinigt. „Die Angehörigen einer Konfession oder mehrerer verwandter Bekenntnisse sind dem Staat gegenüber nicht rechenschaftspflichtig, weshalb sie sich nicht in einer einzigen, sondern in mehreren Religionsgemeinschaften organisieren.“ (BVerwGE 123, 49, 56 f.)
Das Erfordernis eines Mindestmaßes an Organisation folgt daraus, dass die Verfassung mit dem Begriff der Religionsgemeinschaft an einen soziologisch ihr vorausliegenden Begriff anknüpft (vgl. BVerwGE 123, 49, 55). Wenn auch deshalb eine bestimmte Rechtsform nicht geboten ist, so muss die Gemeinschaft doch im allgemeinen Rechtsverkehr handlungsfähig sein können. Deshalb ist der Begriff der Religionsgemeinschaft nicht bereits dadurch erfüllt, dass Menschen eine religiöse Überzeugung teilen (siehe Anmerkung 2 – im Anhang). Sofern aber die Gemeinschaft als eigene, von anderen abgegrenzte Vereinigung im allgemeinen Rechtsverkehr handlungsfähig ist, kann sie eine Religionsgemeinschaft sein, wenn sie die oben (1) genannten Anforderungen an ihren inhaltlichen, religiösen Gegenstand erfüllt. Im Verfahren zur Verleihung der Körperschaftsrechte obliegt es der Gemeinschaft, in ihrem Antrag darzulegen, dass und weshalb sie eine Religionsgemeinschaft im verfassungsrechtlichen Sinne ist. In tatsächlichen und rechtlichen Zweifelsfragen kann die jeweilige staatliche Behörde eine gutachterliche Klärung herbeiführen.
Über diese – grundsätzlich maßgeblichen – geringen Anforderungen an die organisatorische Verfasstheit der Gemeinschaft hinaus ergeben sich besondere Erfordernisse für einen religiösen Dachverband, der den Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte stellt.
(3)
Dachverbände können Religionsgemeinschaften sein, sofern bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Das Bundesverwaltungsgericht (Urteil vom 23. Februar 2005 – 6 C 2.04, BVerwGE 123, 49 ff.) hat insoweit das Folgende als grundsätzlich notwendig erachtet (siehe Anmerkung 3 – im Anhang):
Natürliche Personen: „Im Dachverbandsmodell ist der Gesamtorganismus die Religionsgemeinschaft.“ (BVerwG, a.a.O., 58). Die personale Grundlage der Religionsgemeinschaft wird von den natürlichen Personen gebildet. Im Dachverband handelt es sich dabei um die Menschen, die sich zum Zwecke gemeinsamer Religionsausübung in lokalen Vereinigungen zusammengeschlossen haben.
Arbeitsteilung auf verschiedenen Ebenen: Die Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben erfolgt arbeitsteilig auf den verschiedenen Ebenen des Verbandes (vgl. BVerwG, a.a.O., 57).
Organisatorisches Band: Die Gläubigen müssen nicht selbst im Rechtssinne Mitglieder der obersten Organisationseinheit sein. „Ausreichend ist vielmehr, dass die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit durch ein organisatorisches Band zusammengehalten wird, das vom Dachverband an der Spitze mit seinen Gremien bis hinunter zum einfachen Gemeindemitglied reicht.“ (BVerwG, a.a.O., 57)
Religiöse Verbundenheit: Im Dachverband bedarf es keiner gelebten religiösen Gemeinschaft natürlicher Personen. „Das religiöse Leben entfaltet sich auf der örtlichen Ebene [...].“ (BVerwG, a.a.O., 58) Im hier vorliegenden Zusammenhang heißt das, dass das religiöse Leben sich auf der örtlichen Ebene entfaltet, namentlich durch Versammlung der Gläubigen zum Gottesdienst. Die oberste Ebene nimmt typischerweise Leitungsaufgaben wahr, „wobei für den Charakter als Religionsgemeinschaft unerheblich ist, ob sie das örtliche Gemeinschaftsleben durch Richtlinien und Weisungen steuert oder bei weitgehender Autonomie der örtlichen Vereine sich auf die Erfüllung übergreifender Aufgaben beschränkt. Das Gemeinschaftsleben in der Gesamtorganisation wird dadurch verwirklicht, dass alle von ihr erfassten Menschen vom einfachen Gemeindemitglied bis zum Vorsitzenden des höchsten Dachverbandes sich der gemeinsamen religiösen Sache verpflichtet fühlen und auf dieser Grundlage die ihnen gesetzten Aufgaben erfüllen.“ (BVerwG ebd.)
Ein Bekenntnis oder mehrere verwandte Bekenntnisse: Es ist nicht zu fordern, dass dem Dachverband, vermittelt durch die ihm angehörenden Gemeinschaften Gläubige ein- und desselben Bekenntnisses zugeordnet sind. Auf der Grundlage des religiösen Selbstverständnisses kann es sich auch um Angehörige „einer Konfession oder mehrerer verwandter Konfessionen“ handeln. (BVerwG, a.a.O., 59)
Identitätsstiftende Aufgaben: Ein Dachverband ist nicht schon dann Religionsgemeinschaft, wenn sich seine Aufgaben in der Vertretung gemeinsamer Interessen nach außen oder auf die Koordinierung von Tätigkeiten der Mitgliedsvereine beschränkt. „Vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, dass für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden.“ (BVerwG, a.a.O., 59) Welche Aufgaben für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentlich sind, hängt nicht zuletzt vom Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft ab. „Es liegt auf der Hand, dass die Identität einer Religionsgemeinschaft maßgeblich von der Formulierung und Durchsetzung der ihr eigenen Glaubensinhalte geprägt wird.“ (BVerwG, a.a.O., 60)
Allseitige Erfüllung der religiösen Aufgaben: Kennzeichen einer Religionsgemeinschaft ist es, dass sie der allseitigen Erfüllung der durch das Bekenntnis gestellten Aufgaben dient. Vereinigungen, die nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel haben (z.B. im karitativen, kulturellen oder wissenschaftlichen Bereich), sind nur sogenannte religiöse Vereine. Durch einen Zusammenschluss religiöser Vereine zu einem Dachverband entsteht keine Religionsgemeinschaft, „und zwar selbst dann nicht, wenn darin zahlreiche unterschiedliche fachliche Ansätze und Zielrichtungen unter einem einheitlichen religiösen Blickwinkel zusammengefasst werden.“ (BVerwGE 123, 49, 61)
Ein umfassendes, schriftlich fixiertes Lehrgebäude ist nicht erforderlich.
Die Darlegungspflicht der Gemeinschaft erstreckt sich auf den Nachweis der genannten Kriterien. Sie wird insbesondere durch die Vorlage einer Dachverbandssatzung, einer Liste der Untergliederungen, eine Darstellung der Arbeitsteilung, die Vorlage verbindlicher Mustersatzungen der Dachorganisation und ihrer Untergliederungen (soweit vorhanden) sowie eine Erläuterung des Mitgliedschaftsrechts konkretisiert.
c)
Die den Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte stellende Religionsgemeinschaft muss (1) durch ihre Verfassung und (2) die Zahl ihrer Mitglieder die Gewähr der Dauer bieten.
Das Bundesverfassungsgericht hat dies wie folgt präzisiert: „Eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, muss durch ihre Verfassung und die Zahl ihrer Mitglieder die prognostische Einschätzung stützen, dass sie auch in Zukunft dauerhaft bestehen wird. Grundlage für diese Einschätzung sind der gegenwärtige Mitgliederbestand der Religionsgemeinschaft und ihre Verfassung im Übrigen.“ (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370, 384 – „Zeugen Jehovas“) Ergänzend hat das Bundesverwaltungsgericht ausgeführt: „Diese Voraussetzung [gemeint ist die Gewähr der Dauer] ist auf die Zukunft bezogen und verlangt demnach eine Prognose, ob die Religionsgemeinschaft auf Dauer Bestand haben wird. Die Verfassung der Religionsgemeinschaft und die Zahl ihrer Mitglieder sind Grundlage dieser Prognose.“ (BVerwG, Urteil vom 28. November 2012, 6 C 8.12, NVwZ 2013, 943 – Rn. 9)
(1)
Organisationsordnung: Die antragstellende Religionsgemeinschaft muss „rechtlich hinreichend organisiert“ sein, so dass sie „organisatorisch und institutionell in der Lage [ist], die Rechte, die sich aus dem Körperschaftsstatus ergeben, auszuüben“ (BVerwG, NVwZ 2013, 943, 945 Rn. 21). Dazu bedarf es einer förmlichen Organisationsordnung (Satzung, Verfassung), die zumindest „eine den Erfordernissen des Rechtsverkehrs genügende rechtliche Satzung“ (BVerfGE 102, 370, 384) darstellt. Sie sollte in Form und Inhalt der Satzung eines e.V. entsprechen. Die Anforderungen an diese Organisationsordnung dürfen jedoch nicht übersteigert werden. Die innere Struktur muss klar und eindeutig erkennbar sein, braucht aber keinen bestimmten Strukturprinzipien, etwa einer demokratischen Ordnung, zu folgen. Es kann auch nicht verlangt werden, dass die Religionsgemeinschaft vor Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts bereits als eingetragener Verein bestanden hat. Die Gemeinschaft muss aber den Status einer rechtlich fassbaren, religiösen Verwaltungsgemeinschaft erreicht haben, und es muss das vertretungsberechtigte Organ erkennbar sein. Geklärt sein müssen daher Vertretung, Organe und Mitgliedschaft. Ist eine solche förmliche Organisationsordnung noch nicht vorhanden, so ist der Entwurf einer Satzung für die in Aussicht genommene Körperschaft des öffentlichen Rechts vorzulegen.
Mitgliedschaftliche Verfasstheit: Da die Körperschaft des öffentlichen Rechts ein Personenverband ist, kommt dieser Rechtsstatus nur für Religionsgemeinschaften in Betracht, die mitgliedschaftlich verfasst sind. Es müssen daher bestimmte, innergemeinschaftliche Regeln bestehen, nach denen festgelegt ist, wer Mitglied der Religionsgemeinschaft ist. (vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 943, 945 Rn. 21; siehe Anmerkung 4 – im Anhang). Dabei muss eine personengenaue Zurechenbarkeit gegeben sein.
Tatsächlicher Gesamtzustand: Der Begriff der Verfassung bezeichnet mehr als ein den Erfordernissen des Rechtsverkehrs genügendes Statut. „Verfassung“ meint „auch den tatsächlichen Zustand einer Gemeinschaft“ (BVerfGE 102, 370, 385). Indizien zur Beurteilung des tatsächlichen Gesamtzustands der Gemeinschaft sind: eine ausreichende Finanzausstattung, eine Mindestbestandszeit und die Intensität des religiösen Lebens. Sie dürfen allerdings nicht schematisch angewendet werden und nicht die von Artikel 140 GG i. V. m. Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV geforderte Gesamteinschätzung stören. Das religiöse Selbstverständnis der Gemeinschaft kann ihre Organisation beeinflussen. Dies zu beurteilen ist dem religiös-weltanschaulich neutralen Staat grundsätzlich verwehrt (zum Ganzen: BVerfGE 102, 370, 385). So darf etwa ein nach dem eschatologischen Glauben der antragstellenden Religionsgemeinschaft nahendes Weltende nicht dazu führen, dass der dauerhafte Fortbestand der Gemeinschaft ausgeschlossen wird (vgl. BVerfGE 102, 370, 386).
Finanzausstattung: Die Gemeinschaft muss – unabhängig von einer eventuell vorhandenen oder zukünftig angestrebten Finanzierung durch öffentliche Mittel – über eine ausreichende Finanzausstattung, d.h. Einkünfte und Vermögen verfügen, um ihre Aufgaben und Ziele finanzieren und eine ausreichend große Organisation unterhalten zu können. Das Bundesverfassungsgericht fordert in seinem Urteil über den Ausschluss des Konkurses von Religionsgemeinschaften als Körperschaft des öffentlichen Rechts ausdrücklich, dass bei jeder Entscheidung, die „die Anerkennung einer Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts zum Inhalt hat“, besonders sorgfältig zu prüfen ist, ob sie „von ihrem Mitgliederbestand und ihren Vermögensverhältnissen her in der Lage“ ist, „ihren finanziellen Verpflichtungen auf Dauer nachzukommen“ (BVerfG, Beschluss vom 13. Dezember 1983 – 2 BvL 13, 14, 15/82, BVerfGE 66, 1 ff.).
Vorzulegen ist das Testat eines Wirtschaftsprüfers über den Vermögensstand und die Einnahmen und Ausgaben der letzten fünf Jahre. Zudem soll eine schriftliche Bewertung des Wirtschaftsprüfers beigefügt werden, wonach davon auszugehen ist, dass die Religionsgemeinschaft von ihrem Mitgliederstand und ihren Vermögensverhältnissen her auch künftig in der Lage sein wird, ihren finanziellen Verpflichtungen auf Dauer nachzukommen.
Mindestbestandszeit: Die antragstellende Religionsgemeinschaft muss grundsätzlich mindestens 30 Jahre in der Bundesrepublik Deutschland bestehen. Diese Mindestbestandszeit ist für den Regelfall („grundsätzlich“) zu fordern; Ausnahmen sind möglich, etwa wenn die Gemeinschaft nicht ganz 30 Jahre in Deutschland besteht, aber aufgrund anderer Umstände eine sichere Prognose darüber möglich ist, dass sie die Gewähr der Dauer in die Zukunft hinein bietet. „Das Merkmal der Gewähr der Dauer hat gerade auch die Funktion, die Zuerkennung der Körperschaftsrechte an neu entstandene Bewegungen zu verhindern, deren weiterer Weg noch im Dunkeln liegt.“ (BVerwG NVwZ 2013, 943, 944 Rn. 11). In der Regel erweist erst ein Bestand über den ersten Generationswechsel hinaus, ob eine Gemeinschaft nur von der aktiven Gründergeneration oder auch von den in die Gemeinschaft „hineingeborenen Kindern“ sowie von ggf. neu hinzugekommenen Mitgliedern dauerhaft fortgeführt wird. „Zur Bewertung ist insbesondere heranzuziehen, wie lange die Religionsgemeinschaft bereits besteht, wie sich ihr Mitgliederbestand in der Vergangenheit entwickelt hat, wie die Altersstruktur der Mitglieder, aber auch ihre soziale Zusammensetzung ist [...].“ (BVerwG, NVwZ 2013, 943 Rn. 11)
Die Gründung von Vorläuferorganisationen setzt die Frist von 30 Jahren nicht ohne weiteres in Gang. Bei Namensänderung und Nachfolge von Gemeinschaften ist zu prüfen, ob sich dadurch ihre Identität, insbesondere ihre Zielsetzung geändert hat. Die Bestandszeit einer Vorgängerorganisation wird der antragstellenden Gemeinschaft nur dann zugerechnet werden können, wenn an der fortbestehenden Identität der Gemeinschaft keine Zweifel bestehen.
Vor diesem Hintergrund wird dem Antrag in der Regel eine Darstellung der geschichtlichen Entwicklung der Gemeinschaft beigefügt sein müssen. Auch die Frage nach der Dauer des bisherigen Bestehens darf aber nicht zu einer inhaltlichen Bewertung des Bekenntnisses führen.
Intensität des religiösen Lebens: Erforderlich ist auch eine gewisse Intensität des religiösen Lebens (z.B. regelmäßige Gottesdienste oder religiös motivierte Zusammenkünfte der Mitglieder). Der Staat hat aber auch in diesem Kontext keine Befugnis, über die Bekenntnisinhalte unter religiösen Gesichtspunkten zu urteilen. Zu Besonderheiten für Dachverbände oben B. 2. b) (3) – zur „Religiösen Verbundenheit“.
(2)
Als eigenes Element des durch ihre Verfassung bezeichneten Gesamtzustands der Religionsgemeinschaft betont das Grundgesetz die Zahl ihrer Mitglieder (vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 943 Rn. 10; siehe Anmerkung 5 – im Anhang). Allein die Zahl der Mitglieder lässt aber keine zuverlässigen Schlüsse auf den Fortbestand der Religionsgemeinschaft zu. Erforderlich ist vielmehr eine Prognose anhand weiterer Bewertungsfaktoren (vgl. BVerwG NVwZ 2013, 943 f. Rn. 11 – auch zum Folgenden).
Zu diesen Bewertungsfaktoren gehören im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (siehe Anmerkung 6 – im Anhang):
-
die Bestandsdauer der Religionsgemeinschaft bis zu ihrem Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte (dazu bereits oben (1) zur „Mindestbestandszeit“; hier geht es um die Bestandsdauer, bezogen auf die Mitgliederzahl),
-
die Entwicklung des Mitgliederbestandes in der Vergangenheit,
-
die Altersstruktur der Mitglieder,
-
die soziale Zusammensetzung der Mitglieder,
-
eine etwaige Einbindung der in Deutschland ansässigen Religionsgemeinschaft in eine größere, ggf. weltweit verbreitete Gemeinschaft.
Um die Prognose anhand dieser Kriterien zu ermöglichen, sind der zuständigen staatlichen Behörde nähere Angaben mindestens zu Folgendem zu übermitteln:
-
Mitgliederzahlen aktuell, in den letzten zehn und vor zwanzig Jahren,
-
Altersstruktur (0 bis 13, 14 bis 17, danach alle 10 Jahre bis 67) in den letzten zehn Jahren,
-
soziale Zusammensetzung,
-
Anteil der Mitglieder mit deutscher und mit ausländischer Staatsangehörigkeit,
-
Darstellung der Teilnahme am Leben der Gemeinschaft,
-
gegebenenfalls: Nachweise über die Einbindung in eine größere, gar weltweite Organisation,
-
gegebenenfalls: deutschlandweite Tätigkeit.
Die Behörde kann verlangen, dass die Angaben in geeigneter Weise glaubhaft gemacht werden.
Bezugsrahmen: Der Bezugsrahmen für die Beurteilung der Mitgliederzahl ist nicht auf das Land beschränkt, in dem der Antrag auf Verleihung der Körperschaftsrechte gestellt wird. Bei einer bundesweit tätigen Organisation kommt es darauf an, wie hoch die Zahl der Mitglieder bundesweit ist (siehe Anmerkung 7 – im Anhang).
d)
Soweit es um die geschriebenen Voraussetzungen des Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV geht, liegen die Darlegungslast und ggf. auch die Beweislast bei den antragstellenden Gemeinschaften. Sie haben eine den rechtlichen Bedürfnissen genügende Satzung, eine hinreichende Verfasstheit auch hinsichtlich ihrer Mitglieder (Anzahl und personale Organisation), ihre religiöse Praxis sowie eine ausreichende Finanzausstattung nachzuweisen. Eventuell verbleibende Zweifel gehen unter Berücksichtigung des Amtsermittlungsgrundsatzes zu Lasten der antragstellenden Gemeinschaft.
3.
a)
Wenngleich der Staat aus Gründen der religiösen und weltanschaulichen Neutralität keine „Qualitätskontrolle“ vornehmen darf, ist ihm andererseits aus rechtsstaatlichen Gründen verwehrt, einer Religionsgemeinschaft Körperschaftsrechte zu verleihen und ihr damit öffentlich-rechtliche Gestaltungsmöglichkeiten zugänglich zu machen, wenn sie die Grundsätze der verfassungsrechtlichen staatlichen Ordnung ablehnt oder staatliche Gesetze nicht beachtet. Von einer Religionsgemeinschaft, die die Normen des staatlichen Gemeinwesens missachtet, kann nicht erwartet werden, dass sie die Bindungen des öffentlichen Rechts respektiert. Auch wenn im Einzelfall die Frage des noch Tolerierbaren zu Schwierigkeiten führen kann, ist an der Grundprämisse festzuhalten, dass die antragstellende Religionsgemeinschaft – ungeachtet der Gestaltung ihrer inneren Struktur – die Regeln des demokratischen und sozialen Rechtsstaates achtet.
Daher muss eine Religionsgemeinschaft, die Körperschaft des öffentlichen Rechts werden will, rechtstreu sein. „Sie muss die Gewähr dafür bieten, dass sie das geltende Recht beachten, insbesondere die ihr übertragene Hoheitsgewalt nur in Einklang mit den verfassungsrechtlichen oder sonstigen gesetzlichen Bindungen ausüben wird. [...] Schon aus der Bindung aller öffentlichen Gewalt an Gesetz, Recht und Verfassung (Artikel 20 Absatz 3 GG) folgt, dass eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts die Gewähr dafür bieten muss, die ihr übertragene Hoheitsgewalt in Einklang mit den verfassungsrechtlichen und den sonstigen gesetzlichen Vorgaben auszuüben.“ (BVerfGE 102, 370, 390)
Allerdings stellt nicht jeder Verstoß gegen Recht und Gesetz die Gewähr rechtstreuen Verhaltens in Frage. Entscheidend ist, dass die Religionsgemeinschaft im Grundsatz bereit ist, Recht und Gesetz zu achten und sich in die verfassungsmäßige Ordnung einzufügen (vgl. BVerfGE 102, 370, 391 f.).
Insbesondere muss eine Religionsgemeinschaft, die den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erwerben will, die Gewähr dafür bieten, dass ihr künftiges Verhalten die in Artikel 79 Absatz 3 GG umschriebenen fundamentalen Verfassungsprinzipien, die dem staatlichen Schutz anvertrauten Grundrechte Dritter sowie die Grundprinzipien des freiheitlichen Religions- und Staatskirchenrechts des Grundgesetzes nicht gefährdet. Dazu gehören die in Artikel 1 Absatz 1 GG verankerte Menschenwürdegarantie, die Prinzipien von Rechtsstaat und Demokratie gemäß Artikel 20 GG, der grundrechtliche Schutz des menschlichen Lebens und der körperlichen Unversehrtheit, das Kindeswohl gemäß dem staatlichen Schutzauftrag aus Artikel 6 Absatz 2 GG, das verfassungsrechtliche Verbot der Staatskirche sowie die staatskirchenrechtlichen Prinzipien von Neutralität und Parität (vgl. BVerfGE 102, 370, 392 bis 394). Infolgedessen können einer Religionsgemeinschaft nicht die Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts verliehen werden, wenn sie auf die Verwirklichung einer theokratischen Herrschaftsordnung hinwirkt (vgl. BVerfGE 102, 370, 395).
Eine über die genannten Anforderungen hinausgehende Loyalität zum Staat ist dagegen nicht zu fordern (vgl. BVerfGE 102, 370, 395 f.).
b)
Ob die antragstellende Religionsgemeinschaft diese Anforderungen missachtet und ihr daher der Körperschaftsstatus zu versagen ist, ist nicht nach ihrem Glauben, sondern nach ihrem Verhalten zu beurteilen (vgl. BVerfGE 102, 370, 394). Dies schließt jedoch nicht aus, dass Glaube und Lehre, soweit sie sich nach außen manifestieren, Rückschlüsse auf das von der Religionsgemeinschaft zu erwartende Verhalten zulassen; das ist eine Frage des Einzelfalls (BVerfG, NVwZ 2015, 1434, 1436 Rn. 95).
c)
Die Frage nach der Darlegungs- und Beweislast für die Rechtstreue ist anders zu beantworten als bei den geschriebenen Verleihungsvoraussetzungen (oben 1. d). Anhaltspunkte ergeben sich aus den Grundsätzen, die bei Prognoseentscheidungen für Beamtenbewerber gelten (vgl. nur BVerwG, Urteil vom 27. November 1980 – 2 C 38/79, NJW 1981, 1386, 1389). Daran anknüpfend hat der Staat gegebenenfalls die Tatsachen darzulegen, die bei objektiver Betrachtungsweise unter Berücksichtigung seiner Beurteilungsermächtigung seine Zweifel an der Rechtstreue der Gemeinschaft rechtfertigen. Dafür trifft den Staat auch die Beweislast. Können die maßgeblichen tatsächlichen Umstände nicht festgestellt werden, ist die Beweisführung misslungen und eine Ablehnung kann nicht darauf gestützt werden. Lassen die betreffenden Umstände sich aber beweisen, obliegt es der antragsstellenden Gemeinschaft, die Zweifel des Staates an der Rechtstreue zu zerstreuen. Hierfür trägt dann die antragstellende Gemeinschaft die materielle Beweislast.
C.
1.
Das Grundgesetz lässt offen, ob nur einer Religionsgemeinschaft insgesamt oder auch einzelnen Teilorganisationen oder Untergliederungen einer Religionsgemeinschaft die Körperschaftsrechte nach Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV verliehen werden können. Grundsätzlich kommt für die Verleihung primär die bundes- oder landesweit tätige Religionsgemeinschaft in Betracht. Das Grundgesetz sowie die Landesverfassungen und (soweit vorhanden) die Landesgesetze schließen aber auch die Verleihung von Körperschaftsrechten an örtliche Untergliederungen (etwa an einzelne Gemeinden) nicht aus. Die Verleihung der Körperschaftsrechte an örtliche Untergliederungen oder Gemeinden soll allerdings nur erfolgen, wenn die betreffende übergeordnete, landesweit organisierte und tätige Religionsgemeinschaft bereits die Körperschaftsrechte innehat. Die Verleihung der Rechte an Ortsgemeinden erfolgt in der Regel auf Antrag der überörtlichen Religionsgemeinschaft im Rahmen ihrer Organisationsgewalt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. Januar 2009 – 7 B 42/08, NVwZ 2009, 390 f.).
Nach der Praxis der Länder in der Bundesrepublik Deutschland werden die Körperschaftsrechte zunächst von dem Land verliehen, in dem die Gemeinschaft ihren Sitz hat (Erstverleihung). Die übrigen Länder verleihen die Körperschaftsrechte für ihr jeweiliges Landesgebiet in der Folge im Wege der Zweitverleihung.
2.
Die Entscheidung über die Erst- oder Zweitverleihung trifft das jeweilige Land in eigener Zuständigkeit und Verantwortung. Dass die Rechtswirkungen der Verleihung des Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts ihre Grenzen in der Hoheitsgewalt und Eigenstaatlichkeit der Länder finden, entspricht dem bundesstaatlichen Kompetenzgefüge (BVerfG, NVwZ 2015, 1434, 1438 Rn. 114).
Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten gebietet es jedoch, dass die Länder ihre jeweilige Prüfung nicht völlig losgelöst von den in anderen Ländern gewonnenen Erkenntnissen durchführen, sondern diese angemessen berücksichtigen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 120). „Das den Antrag der Religionsgemeinschaft prüfende Land hat den Sachverhalt umfassend aufzuklären und Erkenntnisse aus anderen Ländern bei seiner Entscheidung über die Verleihung des Körperschaftsstatus für sein Landesgebiet zu berücksichtigen, die mit Blick auf den Maßstab der Artikel 4 Absatz 1 und 2 GG, Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV von Bedeutung sein können. Insbesondere die ungeschriebene Verleihensvoraussetzung der Gewähr der Rechtstreue wird in der Regel nicht regional teilbar sein.“ (BVerfG, a.a.O. Rn. 119)
Daher ist es in jedem Einzelfall geboten, dass das betreffende Land vor der Entscheidung Fühlung mit den anderen Ländern aufnimmt. Mag auch die Verleihung der Körperschaftsrechte in einem Land für die anderen Länder nicht rechtlich bindend sein, werden diese aber tatsächlich in ihrer Freiheit eingeschränkt (siehe Anmerkung 8 – im Anhang).
3.
Die Erstverleihung der Körperschaftsrechte an eine Religionsgemeinschaft ruft eine neue Rechtspersönlichkeit als Körperschaft des öffentlichen Rechts in einem Land in der Bundesrepublik Deutschland ins Leben. Dies ist auch dann der Fall, wenn die Religionsgemeinschaft zuvor in einer Rechtsform des privaten Rechts rechtsfähig war. Durch die Erstverleihung wird die Religionsgemeinschaft im gesamten Bundesgebiet als Körperschaft des öffentlichen Rechts rechtsfähig (vgl. BVerwG, NVwZ 2013, 943, 945 Rn. 19 a.E.). Soweit einfaches Bundesrecht Rechtsfolgen an den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts knüpft, können diese nach der Verleihung des Körperschaftsstatus ebenfalls bundesweite Wirkung entfalten (BVerfG, NVwZ 2015, 1434, 1437 Rn. 112). Hoheitliche Befugnisse erwirbt die Religionsgemeinschaft jedoch aufgrund der Erstverleihung nur für das Gebiet des Landes, in dem die Erstverleihung erfolgt.
Eine Erstverleihung wird auch dann vorgenommen, wenn in einem anderen Land der Bundesrepublik eine Religionsgemeinschaft als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannt ist, sich aber im Verleihungsland eine bekenntnisidentische Religionsgemeinschaft als eigene Organisationseinheit gebildet hat und als selbständige Rechtspersönlichkeit Körperschaftsrechte beansprucht. In diesem Fall ist darauf zu achten, dass die Eigenständigkeit und die eigene Identität einer solchen Neugründung als eigene Organisationseinheit gegenüber der in einem anderen Land bereits als Körperschaft des öffentlichen Rechts anerkannten Religionsgemeinschaft klar erkennbar sind. Denkbar sind Formulierungen wie „Landesverband ... der ...-Gemeinschaft/-Kirche“.
4.
Eine Zweitverleihung der Körperschaftsrechte ist erforderlich, wenn die Religionsgemeinschaft in einem Land in der Bundesrepublik Deutschland Körperschaftsrechte innehat und die damit verbundenen hoheitlichen Befugnisse mit Wirkung auf ein weiteres Land – ohne eine Organisationseinheit mit eigener Rechtspersönlichkeit zu bilden – ausdehnen will. Durch die Zweitverleihung wird, da bereits mit der Erstverleihung die bundesweite Rechtsfähigkeit als Körperschaft des öffentlichen Rechts einhergeht, keine neue (weitere) Rechtspersönlichkeit ins Leben gerufen. Durch das Verleihungsverfahren weiterer Länder (Zweitverleihung) werden jedoch nicht nur bestehende Rechte der Religionsgemeinschaft materiell anerkannt, sondern die Rechte zugleich – und zwar für das weitere Land – neu begründet; es findet eine echte Verleihung von Rechten statt. Der Zweitverleihung kommt insoweit konstitutive Wirkung zu (vgl. BVerfG, NVwZ 2015, 1434, 1437 Rn. 111).
Weder die das gesamte Bundesgebiet in Blick nehmende Prüfung der Voraussetzungen für die Verleihung durch das Land, welches die Erstverleihung vornimmt, noch die als Ausfluss der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten anzusehende Beteiligung der übrigen Länder im Erstverleihungsverfahren lassen die Erforderlichkeit einer konstitutiven Zweitverleihung entfallen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 114). Die Befugnis einer Gemeinschaft, als Körperschaft des öffentlichen Rechts Hoheitsgewalt auf dem Staatsgebiet des Landes auszuüben, in dem die Zweitverleihung begehrt wird, kann nicht von der rechtlichen und tatsächlichen Beurteilung der Voraussetzungen für die Verleihung durch das erstverleihende Land abhängen (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 117).
In den inhaltlichen Vorgaben unterscheidet sich die Zweitverleihung nicht von der Erstverleihung. Für die Zweitverleihung sind deshalb dieselben Voraussetzungen zu fordern wie für eine Erstverleihung. Häufig wird dabei auf die Prüfergebnisse des erstverleihenden Landes Bezug genommen werden können, gleichwohl sind anderslautende Entscheidungen nicht ausgeschlossen. Insbesondere die Verantwortung für die Prüfung der Rechtstreue muss bei dem Land verbleiben, auf deren Staatsgebiet die antragstellende Gemeinschaft die mit dem Körperschaftsstatus einhergehenden hoheitlichen Befugnisse ausüben möchte (vgl. BVerfG, a.a.O., Rn. 117). Denkbar ist z.B., dass nach der Erstverleihung Zweifel an der Rechtstreue entstehen, die möglicherweise einen Entzug der Erstverleihung noch nicht rechtfertigen, jedoch einer weiteren Verleihung entgegenstehen.
5.
Grundsätzlich können Einzelgemeinden als Untergliederungen einer Religionsgemeinschaft mit Körperschaftsstatus Körperschaftsrechte erlangen. In welchem Verfahren dies erfolgt und ob dazu bestimmte Anforderungen zu erfüllen sind, richtet sich in einigen Ländern nach landesgesetzlichen Regelungen (siehe Anmerkung 9 – im Anhang).
Dazu hat das Bundesverwaltungsgericht (Beschluss vom 8. Januar 2009 – 7 B 42/08, NVwZ 2009, 390, 391) Folgendes ausgeführt:
„Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts nach Artikel 140 GG, Artikel 137 Absatz 5 Satz 1 oder Satz 2 WRV vermittelt der Religionsgemeinschaft bestimmte öffentlich-rechtliche Befugnisse, die aus ihrem Status folgen und mit ihm unmittelbar verbunden sind. Dazu gehört insbesondere die Organisationsgewalt (Urteil vom 10. April 2008 – BVerwG 7 C 47.07, NVwZ 2008, 1357). Die Organisationsgewalt gibt den korporierten Religionsgemeinschaften die Befugnis, Untergliederungen zu bilden, und zwar gerade solche mit öffentlich-rechtlichem Status (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 – 2 BvR 1500/97, BVerfGE 102, 370, 371).“
„Auch wenn die Befugnis, öffentlich-rechtliche Untergliederungen zu bilden, unmittelbar aus dem Körperschaftsstatus der Religionsgemeinschaft folgt, bedarf es doch der Mitwirkung des Staates, wenn die Untergliederung im Bereich der weltlichen Rechtsordnung rechtlich wirksam handeln soll, etwa als Steuergläubigerin im Recht der Kirchensteuer. [...] Die Zuerkennung der Körperschaftsrechte ist damit ebenso wie deren Aberkennung staatliche Mitwirkung an einem Organisationsakt der Religionsgemeinschaft, der inhaltlicher Überprüfung durch staatliche Behörden aufgrund des Selbstbestimmungsrechts der Religionsgemeinschaft entzogen ist (BVerwG, NVwZ 2009, 390, 391)“.

Anhang: Anmerkungen

(1)
BVerwGE 123, 49 ff.: „Eine Religionsgemeinschaft liegt nicht erst dann vor, wenn sie alle Angehörigen einer Religion, hier des Islams vereinigt. [...] Zu einer Religionsgemeinschaft können sich auch Angehörige verwandter Konfessionen zusammenfinden. [...] Aufgrund ihrer Religionsfreiheit kommt den Gläubigen die Definitionshoheit über den Inhalt ihres Bekenntnisses zu. Dies schließt die vom Staat zu respektierende Befugnis ein, bei der Gemeinschaftsbildung die Gemeinsamkeiten stärker zu gewichten als die Unterschiede.“ (a.a.O. S. 56)
(2)
BVerwGE 123, 49 ff.: „Die Gesamtheit aller Muslime auf Erden („Umma“) ist keine Religionsgemeinschaft im Sinne des deutschen Rechts der Personenvereinigungen.“ (a.a.O. S. 55)
(3)
BVerwGE 123, 49 ff.: „Religiöse Überzeugung ist eine höchstpersönliche Angelegenheit. Daher muss eine Vereinigung, deren Zweck die Verfolgung der durch ein Bekenntnis gestellten Aufgaben ist, sich auf natürliche Personen beziehen. Aus der Sicht des staatlichen Rechts stehen die Gläubigen im Zentrum jeder Religionsgemeinschaft. Das hindert jedoch nicht, eine Religionsgemeinschaft auch in einem mehrstufigen Verband (Dachverbandsorganisation) zu erblicken, in welchem die Gläubigen auf der örtlichen Ebene Vereine gebildet haben, die sich zu regionalen Verbänden zusammengeschlossen haben, welche wiederum einen landes- oder bundesweiten Verband gegründet haben. In einem solchen Fall bilden die Konfessionsangehörigen, die sich zum Zwecke gemeinsamer Religionsausübung in lokalen Vereinen zusammengeschlossen haben, die für das Bestehen einer Religionsgemeinschaft unentbehrliche personale Grundlage. Die allseitige Erfüllung der durch das gemeinsame Bekenntnis gestellten Aufgaben erfolgt arbeitsteilig auf den verschiedenen Ebenen des Verbandes. Da das staatliche Recht den Religionsgemeinschaften keine bestimmte Organisationsform vorschreibt, kann nicht verlangt werden, dass die Gläubigen der Gemeinschaft selbst oder ihrer obersten Organisationseinheit als Mitglieder im Rechtssinne angehören. Ausreichend ist vielmehr, dass die Gemeinschaft in ihrer Gesamtheit durch ein organisatorisches Band zusammengehalten wird, das vom Dachverband an der Spitze mit seinen Gremien bis hinunter zum einfachen Gemeindemitglied reicht. Insofern genügt es, wenn die lokale Gemeinde durch Beschluss der höheren Untergliederung beitritt und diese gegenüber dem Dachverband an der Spitze in gleicher Weise verfährt. Mit dem Beitrittsbeschluss erkennt die Untergliederung die Satzung des höheren Verbandes an, insbesondere die dort auf der Grundlage der gemeinsamen Konfession festgelegten Aufgaben sowie die darauf resultierende Aufgabenverteilung zwischen den Untergliederungen.“ (a.a.O. S. 57 f.)
„Im Dachverbandsmodell ist der Gesamtorganismus die Religionsgemeinschaft. Seine selbstständigen Untergliederungen sind deren Teil. [...] Bei der gebotenen ganzheitlichen, auf die Gesamtorganisation abstellenden Betrachtungsweise bedarf es keiner gelebten Gemeinschaft natürlicher Personen auf der Ebene des Dachverbandes [...]. Das religiöse Gemeinschaftsleben entfaltet sich auf der örtlichen Ebene, im hier vorliegenden Zusammenhang namentlich durch Versammlung der Gläubigen zum Gottesdienst. Dagegen nimmt die oberste Ebene typischerweise Leitungsaufgaben wahr, wobei für den Charakter als Religionsgemeinschaft unerheblich ist, ob sie das örtliche Gemeinschaftsleben durch Richtlinien und Weisungen steuert oder bei weitgehender Autonomie der örtlichen Vereine sich auf die Erfüllung übergreifender Aufgaben beschränkt. Das Gemeinschaftsleben in der Gesamtorganisation wird dadurch verwirklicht, dass alle von ihr erfassten Menschen vom einfachen Gemeindemitglied bis zum Vorsitzenden des höchsten Dachverbandes sich der gemeinsamen religiösen Sache verpflichtet fühlen und auf dieser Grundlage die ihnen gesetzten Aufgaben erfüllen.“ (a.a.O. S. 58)
„Ein Dachverband ist freilich nicht bereits dann Teil einer Religionsgemeinschaft, wenn sich die Aufgabenwahrnehmung auf seiner Ebene auf die Vertretung gemeinsamer Interessen nach außen oder auf die Koordinierung von Tätigkeiten der Mitgliedsvereine beschränkt. Vielmehr ist darüber hinaus erforderlich, dass für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentliche Aufgaben auch auf der Dachverbandsebene wahrgenommen werden. Für die Anerkennung einer Dachverbandsorganisation als Religionsgemeinschaft ist wesentlich, dass dem Willen der vereinten Gläubigen Rechnung getragen werden soll, die für die Identität in Glaubensfragen erheblichen Aufgaben arbeitsteilig auf mehrere Organisationsebenen zu verteilen. Diese Grundlage entfällt, soweit dem Dachverband an der Spitze keine derartigen identitätsstiftenden Aufgaben zur selbstständigen Erledigung übertragen werden, die Zuweisung sich vielmehr auf andere Aufgaben oder bloße Koordinierungsfunktionen beschränkt.“ (a.a.O. S. 59 f.)
„Welche Aufgaben für die Identität einer Religionsgemeinschaft wesentlich sind, lässt sich nicht mit dem Anspruch auf Allgemeingültigkeit festlegen, sondern hängt nicht zuletzt von dem Selbstverständnis der jeweiligen Gemeinschaft ab.“ (a.a.O. S. 60)
„Aber auch unabhängig von der Existenz strenger hierarchischer Strukturen kann auf der überörtlichen Ebene Autorität, insbesondere Lehrautorität ausgeübt und von den Gläubigen in den örtlichen Gemeinden respektiert und befolgt werden.“ (a.a.O. S. 60)
„Schließlich muss die Tätigkeit des Dachverbands in der Weise auf die Gläubigen in den örtlichen Vereinen bezogen sein, dass sie sich als Teil eines gemeinsamen, alle diese Gläubigen umfassenden Glaubensvollzugs darstellt. Hieran kann es fehlen, wenn dem Verband in erheblichem Umfang Mitgliedsvereine angehören, die religiöse Aufgaben nicht oder nur partiell erfüllen.“ (a.a.O. S. 60 f.)
„Wie bereits erwähnt, stehen den Religionsgemeinschaften die sog. religiösen Vereine (s. Artikel 138 Absatz 2 WRV) gegenüber. Diese sind zwar – in der Regel – einzelnen Religionsgemeinschaften zugeordnet, unterscheiden sich aber von ihnen dadurch, dass sie sich nicht die allseitige, sondern nur die partielle Pflege des religiösen Lebens ihrer Mitglieder zum Ziel gesetzt haben.“ (a.a.O. S. 61).
„Dementsprechend kann auch durch den Zusammenschluss von religiösen Vereinen zu einem Dachverband keine Religionsgemeinschaft entstehen, und zwar selbst dann nicht, wenn darin zahlreiche unterschiedliche fachliche Ansätze und Zielrichtungen unter einem einheitlichen religiösen Blickwinkel zusammengefasst werden. Dasselbe gilt, wenn der Dachverband sowohl aus fachorientierten Vereinigungen als auch – mittelbar oder unmittelbar – aus örtlichen Kultusgemeinden zusammengesetzt wird, diese aber den Dachverband nicht prägen, sondern ihrerseits von den erstgenannten Vereinigungen beherrscht werden.“ (a.a.O. S. 61)
(4)
„Das Gegenbild dazu wäre eine Einrichtung, die von beliebig wechselnden Personen genutzt werden kann, die sich als Anhänger einer bestimmten Glaubenslehre verstehen, ohne dass als Träger der Einrichtung ein abgrenzbarer, organisatorisch zusammengefasster Personenverband feststellbar ist.“ (BVerwG NVwZ 2013, 943, 945 Rn. 21)
(5)
„Wird der Begriff der Verfassung in Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV im Sinne des tatsächlichen Gesamtzustands einer Religionsgemeinschaft verstanden, lässt sich die Zahl der Mitglieder als weiteres Tatbestandsmerkmal von der so verstandenen Verfassung nicht trennscharf abgrenzen. Zum tatsächlichen Gesamtzustand einer Religionsgemeinschaft gehört wesentlich ihr Bestand an Mitgliedern. Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV ist dahin zu verstehen, dass mit dem Merkmal der Verfassung auf den tatsächlichen Gesamtzustand der Religionsgemeinschaft abgehoben wird und die Zahl der Mitglieder als wesentliches Element dieses Gesamtzustands eigens betont wird.“ (BVerwG, a.a.O., Rn. 10)
(6)
„Wie jede statistische Zahl bedarf die Zahl der Mitglieder einer Bewertung, wenn aus ihr eine Aussage für die zukünftige Entwicklung abgeleitet werden soll. Dieselbe Zahl an Mitgliedern kann im Lichte notwendiger weiterer Bewertungsfaktoren die Prognose dauerhaften Bestandes stützen oder zu Fall bringen. Zur Bewertung ist insbesondere heranzuziehen, wie lange die Religionsgemeinschaft bereits besteht, wie sich ihr Mitgliederbestand in der Vergangenheit entwickelt hat, wie die Altersstruktur der Mitglieder, aber auch ihre soziale Zusammensetzung ist; daneben kann eine Rolle spielen, ob die in Deutschland ansässige Religionsgemeinschaft in eine größere, gar weltweit verbreitete Gemeinschaft eingebunden ist. Ist die Zahl der Mitglieder einer Religionsgemeinschaft in der Vergangenheit stetig, zuletzt gar beschleunigt gesunken und gehören die noch verbliebenen Mitglieder überwiegend den älteren Jahrgängen an, ist der gegenwärtige Mitgliederbestand Ausdruck eines Tiefpunktes, von dem aus eine Prognose dauerhaften Bestandes nur noch schwer oder gar nicht mehr möglich ist. Umgekehrt kann dieselbe Zahl an Mitgliedern die Prognose eines dauerhaften Bestandes ermöglichen, wenn sie über Generationen gleichgeblieben oder sogar stetig angewachsen ist und die Mitglieder eine ausgewogene, der Gesamtheit der Bevölkerung in etwa entsprechende Altersstruktur aufweisen. Wiederum dieselbe Zahl kann bei einer neu aufgetretenen Religionsgemeinschaft keine eindeutige Prognose zulassen, wenn etwa der Kreis der Mitglieder sich auf die Gründergeneration um den Stifter beschränkt und nicht absehbar ist, wie der Gemeinschaft sich nach dem Tod des Stifters entwickelt. Das Merkmal der Gewähr der Dauer hat gerade auch die Funktion, die Zuerkennung der Körperschaftsrechte an neu entstandene Bewegungen zu verhindern, deren weiterer Weg noch im Dunkeln liegt.“ (BVerwG, a.a.O., Rn. 11).
(7)
„Ob die Voraussetzungen der Verleihung vorliegen, ist bezogen auf die bundesweit tätige Organisation als solche zu prüfen. Bezogen auf sie, nicht aber auf einen rechtlich und tatsächlich nicht ausscheidbaren Tätigkeitsbereich in einem Bundesland müssen die Voraussetzungen einer Gewähr der Dauer vorliegen“ (BVerwG, a.a.O., Rn. 19).
(8)
„Die Frage, ob die Beschwerdeführerin die geschriebenen und ungeschriebenen Voraussetzungen des Anspruchs aus Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV erfüllt, kann von der Freien Hansestadt Bremen nicht losgelöst von Erkenntnissen aus anderen Ländern geprüft werden. Ob die Voraussetzungen für die Verleihung vorliegen, ist jeweils bezogen auf die Organisation als solche zu prüfen (vgl. schon BVerwG, Urteil vom 28. November 2012 - 6 C 8/12 -, juris, Rn. 19 = NVwZ 2013, S. 943 <944 f.> zur Voraussetzung der „Gewähr auf Dauer“). Das den Antrag der Religionsgemeinschaft prüfende Land hat den Sachverhalt umfassend aufzuklären und Erkenntnisse aus anderen Ländern bei seiner Entscheidung über die Verleihung des Körperschaftsstatus für sein Landesgebiet zu berücksichtigen, die mit Blick auf den Maßstab der Artikel 4 Absatz 1 und 2, Artikel 140 GG in Verbindung mit Artikel 137 Absatz 5 Satz 2 WRV von Bedeutung sein können. Insbesondere die ungeschriebene Verleihensvoraussetzung der Gewähr der Rechtstreue wird in der Regel nicht regional teilbar sein.
Die Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten gebietet deshalb, dass die Länder ihre jeweilige Prüfung nicht völlig losgelöst von den in den anderen Ländern gewonnenen Ergebnissen durchführen, sondern diese angemessen berücksichtigen. Die gemäß Nummer 4 der Empfehlungen der Kultusministerkonferenz über die Verleihung der öffentlichen Körperschaftsrechte an Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vom 12. März 1954 vorzunehmende Beteiligung der übrigen Länder im Erstverleihungsverfahren stellt sich insoweit als Ausfluss der Pflicht zu bundesfreundlichem Verhalten dar.
Diese Beteiligungsform kann jedoch die Durchführung eines Zweitverleihungsverfahrens nicht ersetzen. Zum einen handelt es sich insoweit um eine unverbindliche Empfehlung, die übrigen Länder zu beteiligen, deren Einhaltung nur eingeschränkt justiziabel ist; zum anderen bedürfte es substantieller Mitwirkungs- und Entscheidungsrechte der beteiligten Länder, um sicherzustellen, dass die Religionsgemeinschaft nicht ausschließlich aufgrund der alleinigen Verleihungsentscheidung eines Landes Hoheitsbefugnisse auf dem jeweiligen Staatsgebiet der anderen Länder ausüben kann.
[...] Die sich aus dem eigenständigen Prüfungsrecht des jeweils verleihenden Landes ergebende Gefahr divergierender Entscheidungen ist eine Konsequenz der bundesstaatlichen Ordnung des Grundgesetzes und daher nicht zu beanstanden. Allerdings gewährleistet die Garantie effektiven Rechtsschutzes aus Artikel 19 Absatz 4 GG zugunsten der antragstellenden Religionsgemeinschaft länderübergreifend die gerichtliche Korrektur einer zu ihren Lasten fehlerhaften Entscheidung.“ (BVerfG, Beschluss vom 30. Juni 2015 – 2 BvR 1282/11, www.bundesverfassungsgericht.de, Rn. 119-122).
(9)
Siehe z. B. § 24 Gesetz über die Erhebung von Steuern durch öffentlich-rechtliche Religionsgemeinschaften in Baden-Württemberg (KiStG), i. d. F. v. 15. Juni 1978, GBl. 370; § 1 Absatz 3 Hamburgisches Gesetz über die Verleihung der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religionsgesellschaften und Weltanschauungsvereinigungen vom 15. Oktober 1973, GVBl. 434; § 1 Absatz 4 Gesetz zur Regelung der Verleihung und des Entzugs der Rechte einer Körperschaft des öffentlichen Rechts an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in Nordrhein-Westfalen (Körperschaftsstatusgesetz), i. d. F. v. 16. September 2014, GVBl. 604f.; Artikel 2 Gesetz über die Erhebung von Steuern durch Kirchen, Religions- und weltanschauliche Gemeinschaften (Kirchensteuergesetz – KirchStG), i. d. F. d. Bek. v. 21. November 1994, (GVBl. S. 1026) BayRS 2220-4-F/K, zuletzt geändert durch § 1 ÄndG vom 17. Dezember 2014 (GVBl. S. 547); § 2a Kirchensteuergesetz i. d. F. d. Bekanntmachung vom 23. August 2001 (Brem.GBl. S. 263 – 61 – d -1), zuletzt geändert durch Gesetz v. 24. März 2016 (Brem.GBl. S. 200).

Bremen, den 18. Juli 2017

Der Senator für Angelegenheiten der Religionsgemeinschaften


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